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AutorenbildStef Liehr

Stürmische Zeiten

Während die einen am Rand stehen und Beifall klatschen und die anderen den Kopf schütteln und sich abwenden, tobt in mir ein Sturm.


Ich hab schon viele Bücher gelesen über Familien, die sich auf Weltreise begeben haben. Alles verkauft, aufgelöst, Job gekündigt und los ging’s. Auch sie hatten massive Zweifel und Panikattacken. Heute kann ich sie verstehen.


Mein Schritt ist weniger radikal. Es sind nur 3 Monate…und dennoch gibt es gerade Momente, wo mich Panik befällt. Was tue ich hier eigentlich? Wozu das alles?

Ich vermisse meine Familie schon jetzt. Mein Business läuft großartig. Ich liebe meinen Mann, habe einen tollen Freundeskreis mit Herzensmenschen, aber stürze uns finanziell in den Wahnsinn, um was eigentlich zu tun?!


Finanziell ist es wirklich ein enormer Stretch geworden. Ich habe versucht Unterkünfte zu buchen. Vor ein paar Wochen dachte ich noch, hey ich bin ja allein unterwegs, dass ist wesentlich günstiger als mit Familie. Denkste. Neuseeland ist echt teuer und für mich allein brauch ich da genauso viel, als wenn ich in Europa mit meiner Familie unterwegs bin. Spürst du die Panik?

Zu dem ist Jahresanfang. Versicherungen wollen bezahlt werden, die Steuer wird bald fällig… und ich begebe mich aus unerklärlichen Gründen auf diese Reise, die unsere Rücklagen angreift. Zugegeben, dass unsere große Tochter jetzt mitkommt, haut da noch zusätzlich rein. 


Wie kann ich diesen Schritt rechtfertigen?!


Dann erreicht mich die Nachricht einer mir sehr ans herzgewachsenen Freundin. Sie liegt im Krankenhaus, da man in der Leber Metastasen gefunden hat. Ihren 50ten Geburtstag hatte ich mir vor Wochen dick im Kalender markiert. Wird sie ihn erleben?, schießt es mir durch den Kopf.

Die Freundin meiner Eltern starb plötzlich vor ein paar Wochen an einer Lungenembolie. Einfach so. In der Nacht. Der Vater einer Kundin liegt im Sterben, da sie völlig unerwartet im ganzen Körper Krebs gefunden haben.


Kann ich es damit rechtfertigen? 


Ich hab keine Angst vorm Sterben. Hatte ich noch nie. Ich seh den Tod als Teil vom Leben. Ohne dieses Ende, wäre das Leben nicht so wertvoll. Erst durch den Tod werden Augenblicke kostbar. Stell dir vor, wir würden wirklich für immer auf der Erde leben. Wir hätten ewig Zeit.

Dann würde ich vielleicht nicht im Januar fliegen.

Dann würde ich es auf irgendwann schieben.


Diese Zeit haben wir aber nicht. Und auch wenn ich keine Angst vorm Tod habe, habe ich Ehrfurcht vor einem nicht gelebten Leben. Ich möchte ein Mal lebenssatt sterben. 

Dafür gehört für mich, diesen wundervollen Planeten Erde zu entdecken, mich von seiner Schönheit berauschen lassen, auf ihm spielen, Spaß haben, lachen. Ja, diese Schönheit seh ich seit Jahren auch in meinem Bewegungsradius hier in Deutschland, aber ich weiß, da gibt es noch so viel mehr.


Ich les grad wieder ein Buch von so einer Vanlife-Familie und da musste ich schmunzeln. Endlich versteht mich jemand! Es gibt nämlich ein Gen! Das Nomaden-Gen! Wer dieses Gen hat muss die Welt entdecken, sonst wird er oder sie krank. Genau so empfinde ich es. Unerklärlich. Ich bin happy und dankbar, wo ich bin, aber es legt sich immer wieder eine so schwere Decke von Traurigkeit über mich, die mir die Luft zum Atmen nimmt.


Dann fühl ich mich wie Viana, die auf ihrer Insel am Meer steht und singt: 

Wieder zieht es mich zum Meer, seh zum Horizont, ich spür dieses Fernweh.

Kann es einfach nicht verstehen…


Ich glaub sowieso, dass Vaiana nur für mich verfilmt wurde.


Kurz um. Rechtfertigen kann ich diese Reise nicht. Nicht nach den Maßstäben unserer Gesellschaft. Nicht nach Maßstäben unseres Sicherheitsdenkens. Nicht nach den Werten und Normen, wie eine gute Ehefrau und Mutter zu sein hat. Noch nicht mal ein Gen kann es rechtfertigen.

Rechtfertigen können, würde bedeuten, dass ich recht habe mit diesem Schritt und das alle anderen unrecht haben, die den Kopf schütteln und ihre Bedenken äußern.

Dabei hat niemand recht oder unrecht.


Letztlich kann nur immer jeder in sich selbst hineinfühlen und sich fragen, was seine Wahrheit in dem Ganzen ist und ist verantwortlich dafür, danach zu leben.

Letztlich geht es darum mir treu zu sein, denn diesen Ruf trage ich seit Jahrzehnten in mir und er will gelebt werden. Mir war Reichtum im Außen noch nie wichtig.

Was helfen mir die 100.000€ auf dem Konto am Ende? Was mich aber schon immer erfüllt hat, waren Begegnungen mit anderen Menschen, anderen Kulturen, anderen Denk- und Lebensweisen. Es hilft nicht. Ich muss diesen Schritt wagen. Mir selbst zu liebe.


Ich bin bereit. (Vaiana)

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2 Comments

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Guest
Dec 15, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Wunderschön ❤

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ing
Dec 15, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Keep going!

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